BRAGO § 11 Abs. 1 Satz 4; § 13 Abs. 3, § 23 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 572 Abs. 3 (Mehr-Vergleich in der Berufungsinstanz)

LG Dresden. Beschluss vom 28.08.2002, 4 T 0683/02 (+)
1. Kommt im Berufungsrechtszug unter Mitwirkung des Rechtsanwalts ein Vergleich zustande, steht dem Rechtsanwalt in den durch § 13 Abs. 3 BRAGO gezoge­nen Grenzen neben einer 13/10-Gebühr nach dem Wert des verglichenen Klageanspruchs eine 19,5/10-Vergleichsgebühr aus dem Wert der mit verglichenen nicht anhängigen Ansprüche zu.
2. Die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO stellt nicht darauf ab, ob über den Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ein Rechtsmittelverfahren anhängig ist. Die Anwendung dieser Bestimmung hängt vielmehr aus­schließlich davon ab, in welcher Instanz der Anwalt die gebührenauslösende Tätigkeit entfaltet hat.
3. Den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Parteien steht die 19,5/10-Vergleichsgebühr zu, soweit der Vergleich nicht anhängige Ansprüche betraf. Hat eine Seite im Kostenausgleichungsverfahren lediglich die Ver­gleichsgebühr nach einem Gebührensatz von 15/10 geltend gemacht, muss ihr Gelegenheit gegeben werden, ihren Festsetzungsantrag entsprechend zu erhöhen.
1. Die im Schrifttum und in der Rechtsprechung verschie­dentlich vertretene Ansicht, dass ein in der Berufungsinstanz abgeschlossener Prozessvergleich nur eine 15/10-Vergleichsgebühr zur Entstehung gelangen lasse, soweit dadurch nicht anhängige Ansprüche mit verglichen worden seien, vermag die Kammer nicht zu teilen; sie findet schon im Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO keine Stütze. Danach erhält der RA für die Mit­wirkung beim Abschluss eines Vergleichs 15/10 der vollen Gebühr, wenn und soweit über dessen Gegenstand kein gerichtliches Ver­fahren anhängig ist. Hätte der Gesetzgeber dem Anwalt für diesen Fall stets eine 15/10-Vergleichsgebühr zubilligen wollen, gleich, ob der Prozessvergleich in erster Instanz, im Berufungs­rechtszug oder im Revisionsverfahren abgeschlossen wird, so hätte es einer Anknüpfung des Gebührensatzes von 15/10 an die volle Gebühr als Berechnungsgrundlage für die Vergleichsgebühr nicht bedurft. Die teleologische Auslegung des § 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO rechtfertigt keine andere Beurteilung. Nach dem Wil­len des Gesetzgebers, wie er in der durch Art. 7 Nr. 1 Ziff. 10 a des Kostenrechtsänderungsgesetzes vom 24.6.1974 als § 23 Abs. 1 Satz 1 neu in die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte eingefügten Vorschrift seinen Ausdruck gefunden hat, sollte mit der erhöhten Vergleichsgebühr ein gegenüber dem früheren Rechtszustand verstärkter Anreiz geschaffen werden, durch den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs oder durch die Einbeziehung nicht anhängiger Ansprüche in einen Prozessver­gleich einen darüber sonst zu erwartenden Rechtsstreit zu ver­meiden. Auch aus § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO lässt sich letztlich nichts für die von der Rechtspflegerin vertretenen Ansicht her­leiten. Richtig ist zwar, dass sich ein nicht anhängiger Gegen­stand nicht in einem gerichtlich anhängigen Verfahren und damit auch nicht im Berufungsverfahren befindet. Die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO stellt indessen nicht darauf ab, ob über den Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ein Rechts­mittelverfahren anhängig ist. Die Anwendung der genannten Bestimmung hängt vielmehr ausschließlich davon ab, in welcher Instanz der Anwalt die gebührenauslösende Tätigkeit entfaltet hat. Für die Vergleichsgebühr gelten insoweit keine Besonder­heiten. Aus alledem folgt, dass die aufgrund eines vor dem zweitinstanzlichen Prozessgericht abgeschlossenen Vergleichs über anhängige und nicht anhängige Ansprüche angefallene Ver­gleichsgebühr auch insoweit nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO auf der Grundlage einer 13/10-Gebühr zu berech­nen ist, als der Vergleich auf nicht anhängige Ansprüche erstreckt worden ist. Der Gebührensatz für die dadurch angefallene Ver­gleichsgebühr beträgt demnach 19,5/10 (so auch SchlHOLG Rpfleger 2002,331 f.; OLG Hamm JurBürol998,585; OLG Nürnberg MDR 1999,1155; OLG KölnJurBüro 2000,246 f.).
2. Gleichwohl ist die Sache nicht zur abschließenden Entscheidung gereift. Denn wie die Vergleichsgebühr der zweitinstanzlichen Prozessbev. der Beklagten ist auch diejenige der Berufungsanwälte der Klägerin als 19,5/10-Gebühr zur Entstehung gelangt, soweit der Vergleich nicht -anhängige Ansprüche betrag. Diese haben jedoch lediglich die Ver­gleichsgebühr nach einem Gebührensatz von 15/10 geltend gemacht. Ihnen wird daher Gelegenheit gegeben werden müssen, ihren Festset­zungsantrag entsprechend zu erhöhen. Die Kammer hält es daher für sachdienlich, von der Möglichkeit des § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch zu machen und das Kostenfestsetzungsverfahren zur Durchführung der erforderlichen neuen Kostenausgleichung an die Rechtspflegerin des Gerichts des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen, der auch die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens und die Wertfestsetzung vorbehalten bleiben.